Wie der Knick in die Route kam…..


… erzählen wir am Ende dieses Ahois, denn wir fangen am Anfang unserer Atlantiküberquerung an:
Am Sonntag, 7. 5. 2017, lösen wir mittags die Leinen in der Marina Fort Louis in Marigot auf St. Martin, drehen noch einen Kringel um die frisch gebackenen Weltumsegler von der Hapa Na Sasa, die in der Bucht vor Anker liegt, winken heftig und fahren etwa 10 Seemeilen weiter. Dann stoppen wir schon wieder. Geplant. In der Anse Marcel, eine unserer Lieblingsbuchten von St. Martin fällt ein letztes Mal der Anker ins karibische warme Wasser und gleich darauf auch wir. Florentines Rumpf und die Schraube brauchen noch ein wenig Pflege, denn in den zwei bis drei Wochen im Hafen hat sich doch einiges an Algenbewuchs unter Wasser gebildet. Also kitzeln wir Florentines Bauch mit Bürste und Scheckkarte, damit sie uns möglichst schnell über die 2150 Seemeilen Luftlinie nach Flores auf den Azoren bringt. Um uns herum schnappen die Schildkröten nach Luft, wir genießen ein letztes Mal das 26 Grad warme Wasser, und dann geht es wirklich richtig los.

Mit uns starten fast gleichzeitig die „mal wieder“ mit Ralf und Ingelore aus Kiel und die „Freedom“ mit Hermann und Sabrina aus München. Jens aus Berlin ist schon einen Tag zuvor mit seiner „Punctulum“ losgefahren, er ist einhand unterwegs. Die drei sind der harte Kern unserer Funkrunde auf Kurzwelle, zu der noch zwei andere deutsche Schiffe gehören, die „Meerstern“, die schon etwa vor vier Tagen losgefahren ist und die „Atair“, die von den British Virgins aus gestartet ist.
Sobald wir Anguilla im Rücken haben, geht der Motor aus und wir können segeln. Hoch am Wind mit zwei bis drei Meter Welle geht es gleich mal sportlich los. 5 Beaufort ziehen uns in die Nacht. Peter beendet die erste Funkrunde um 19:20 UTC relativ zügig und kommt grün im Gesicht und kaltschweißig an Deck: seekrank, der Arme. Auch nach so vielen Jahren kann das immer noch passieren. Nach zwei Tagen ist er aber eingeschaukelt und alles ist gut. Fische füttern musste er nicht. Kathrin hat mehr Glück, absolutes Wohlbefinden.

Unser bewährtes Wachsystem von ca. 6 Stunden über die Nacht funktioniert nach wie vor prima. Wir wechseln jeden Tag ab, einmal die „frühe“ Wache bis Mitternacht oder ein Uhr morgens, einmal die „späte“, ekligere bis morgens um sieben. Wenn die Lider so zwischen vier und fünf am Morgen schwer werden, hilft die Eieruhr. In zwanzig-Minuten-Intervallen erinnert sie uns an den Rundumblick und den Blick auf Kartenplotter und AIS.
Apropos AIS: Automatisches Identifikations System für Schiffe – für die Nichtsegler unter unseren Lesern. Sendet und empfängt auf UKW die Daten von allen, vor allem von den großen Pötten, von denen wir nicht so gerne überfahren werden wollen. Unseres scheint leider momentan nur zu empfangen und nicht zu senden. Das bedeutet, dass wir für die großen Frachter nachts nur an unseren Positionslichtern und auf dem Radar zu erkennen sind. Um so wichtiger ist es für uns, wirklich regelmäßig Ausschau zu halten, um rechtzeitig ausweichen zu können oder Funkkontakt aufzunehmen. Auch eine Neukonfiguration des AIS bringt leider nichts. Blöd, grade dann, wenn man es am nötigsten braucht, streikt das doofe System.
Am Morgen des zweiten Tages gibt es eine Seebestattung. Mit dem Hellwerden sehen wir, dass ein Seevogel an unserem Geräteträger am Heck Suizid begangen hat. Wahrscheinlich ist er nachts in den Propeller des Windgenerators geraten. Nun hängt er da, bis wir ihn mittels Bootshaken ins Wasser befördern.
Der Wind lässt langsam nach und dreht auf Südost, das Reisen wird bequemer, auch eine Dusche im Cockpit ist jetzt möglich. Und ein warmes Essen: Gulasch. Innerhalb der nächsten Tage dreht der Wind weiter nach Westen und schläft zeitweilig ein. Die Tage verlaufen gleichförmig: Kaffee kochen, Frühstück, um 11:00 UTC per Satellitentelefon eine SMS mit unserer Position an Moritz schicken. Um 12:00 UTC Telefonat mit Moritz, der uns den neuesten Wetterbericht und eine Wegpunkt für den Tag durchgibt. Um 13 Uhr UTC erste Funkrunde mit den anderen Schiffen unserer Gruppe zum Austausch von Wetterinformationen. Dann Möglichkeit zum Mittagschlaf, Lesen oder einfach nur aufs Wasser schauen. 19.:20 UTC nächste Funkrunde mit Austausch der jeweiligen Positionen und des jeweiligen Wohlbefindens. Danach Abendessen und dann geht der erste auch schon schlafen. Wir schlafen auf den Bänken im Salon, haben es uns dort mit Kuscheldecke und vielen Kissen ganz gemütlich gemacht. Der Wachhabende sitzt anfangs noch unter einem gigantischen Sternenhimmel und bei Vollmond draußen, je weiter wir nach Norden kommen, dann auch lieber unter Deck. Die Fleecejacken und die langen Hosen werden herausgeholt, und nach einer Woche ist es auch zum ersten Mal seit wer weiß wie langer Zeit Zeit für Wollsocken.
Flaute: Flaute stellt man sich so ruhig vor auf dem Ozean, aber das ist sie leider nicht. Der Wind, der uns antreibt, ist weg, aber die Dünung von ein bis zwei Metern, die bleibt. Langgezogen, als ob der Ozean atmen würde und sie bringt Florentine tüchtig ins Schaukeln, was zur Folge hat, dass die Segel erbärmlich schlagen. Mit fast jeder Welle erzittert das Rigg, es tut uns in der Seele weh. Einfach nur parken auf dem Ozean ist leider nicht drin, wir probieren es einen halben Tag lang aus, dann haben wir genug. Als wir beim täglichen Inspektionsrundgang eine Schraube an Deck finden, von der wir nicht wissen, woher sie kommt, werfen wir den Motor an und fahren bei ganz geringer und spritsparender Drehzahl weiter, um die Segel durch etwas Fahrtwind zu stabilisieren.
Am nächsten Tag ist, wie von Moritz versprochen, der Wind auch wieder da. Florentine rennt nur so durchs Wasser, wir machen unser bestes Etmal der Reise: 173 sm. Das war wirklich schnell. Delfine begleiten uns und spielen vor Florentines Bug, lassen sich zurückfallen und überholen dann wieder, üben Formationssprünge zu zweit und zu dritt.

Auf dem Wasser treiben hunderte von portugiesischen Galeeren, eine Quallenart, die wunderschön anzusehen, aber leider sehr giftig ist. Die Quallen können ein halbrundes „Segel“ aufstellen, was sie mit dem Wind treiben lässt.

Am Freitag, 19.Mai, sagt uns unser Wetterfrosch schweres Wetter vorher, und zwei Tage später trifft es uns dann auch. Ein Tiefausläufer streift uns mit bis zu 30 kn Wind und Wellen von 4 Metern. Nichts mehr von sanftem Atmen des Ozeans, die Wellen kommen kurz und steil, das Leben an Bord wird beschwerlich. Zwei Tage später dreht der Wind nach dem Tief auf Nordwest, das Wetter wird wieder schöner und das Segeln angenehmer. Wir können direkt Kurs auf unser Ziel Flores nehmen, das nur noch zwei, drei Tagesreisen entfernt vor unserem Bug liegt.

Atlantik Rueckreise 1b

Abendstimmung auf dem Atlantik


Wir genießen das Ozeansegeln und träumen bereits von unserer Ankunft, da grätscht unser Wetterfrosch Moritz in unsere Träume? Er sagt uns den nächsten Tiefausläufer vorher. Der soll in etwa drei Tagen über Flores hinwegziehen, also gerade dann, wenn wir planen, dort anzukommen. Und dieses Tief, so stellt sich in den folgenden Tagen heraus, soll mit Orkanstärke noch deutlich giftiger werden als das erste und mit stürmischen Winden bis weit unter den 34. Breitengrad aufwarten. Auf diesem Breitengrad befinden wir uns gerade, also laufen wir schweren Herzens wieder Richtung Süden ab. Schade um die ganzen schönen Meilen, die wir Richtung Norden bzw. Nordosten gemacht haben!
Die „mal wieder“ hat Glück und viel Diesel an Bord. Sie sind uns etwa 200 Seemeilen voraus und können nochmal richtig Gas geben und Flores gerade noch vor dem Sturmtief erreichen. Alle anderen Mitsegler aus unserer Gruppe müssen wie wir nach Süden ausweichen. Am Freitag, 26. Mai, zieht dann die Front durch, Wind mit 28 bis 35 kn, Welle mit 5 Metern. Wir drehen für 24 Stunden bei, Groß im dritten Reff, ein Handtuch von Vorsegel und igeln uns unter Deck ein. Alle 20 Minuten steckt einer von uns beiden den Kopf aus dem Niedergang, Rundumblick, Blick auf den Kartenplotter und möglichst keinen Blick auf die hohen Wellen. Die machen nämlich zumindest Kathrin ein mulmiges Gefühl im Bauch. So also kam der Knick in die Route. Kathrins frühere Arbeitskollegin und eifrige Blogleserein Susanne hatte sich nämlich beim täglichen Blick auf unsere Kurslinie über diesen „Knick in der Route“ gewundert und um Auskunft gebeten. Auch dafür lieben wir unsere Freunde und früheren Weggefährten, wie lebhaft sie Anteil nehmen an unserer Reise. Wir vermissen Euch auch!
Wir überlegen kurzfristig, unser Ziel noch weiter östlich nach Horta auf der Insel Faial zu verlegen, doch als wir wieder segeln können, sehen wir, dass es problemlos möglich ist, unser ursprüngliches Ziel Flores anzulaufen. Nach dem Sturm kommt bekanntlich immer die Flaute, so auch dieses Mal, wir motoren, Delfine begleiten uns und in der Ferne sehen wir Zwergwale springen.
Der Abschluss wird versöhnlich. Es ist Sonntag, der 28. Mai. Herrliches Segeln bei Sonne und 4 Beaufort Schiebewind aus Südwest, wir kommen gut voran und wissen: Morgen kommen wir an! Die Borduhr wird zwei Stunden vorgedreht und auf die Azorenzeit umgestellt. Vorher haben wir schon zweimal die Uhr jeweils um eine Stunde vorgestellt, auf 60 Grad westlicher Länge und auf 45 Grad westlicher Länge. Auf den Azoren aber ist UTC angesagt, also die gleiche Zeit wie in London und Lissabon, nur ohne Sommerzeit.
Der Montag zeigt sich diesig mit Nieselregen und Hochnebel, die Sicht ist schlecht, unter 3 Seemeilen. Das wissen wir so genau, weil wir die Frachter und Tanker, die unseren Weg kreuzen – der Verkehr nimmt deutlich zu – zwar auf dem AIS sehen können, mit bloßem Auge jedoch nur erahnen. Eine letzte Funkrunde, „Freedom“ und „Punktulum“ laufen weiter nach Horta, aber wir sehen uns bestimmt wieder. Dann starren wir nach vorne. Wann werden wir wohl das erste Mal Land sehen? Oder riechen? Es dauert und dauert, riechen können wir gar nichts, da der Wind in Richtung Insel bläst. Nur hellgrau in hellgrau am Horizont. Eine ganze Schule Delfine begleitet uns zum Ende unserer Fahrt.

Und dann, endlich, etwa drei Meilen vor Ankunft schält sich die Küste von Flores aus dem Nebel. Dann geht alles irgendwie ganz schnell. Der Wind frischt kurzfristig nochmal auf – Kap-Effekt – und schon sind wir im Vorhafen von Port Lajes, lassen das Großsegel fallen, machen Leinen und Fender klar und um 16:15 UTC heißt es: Fest in Flores. Nachdem alles aufgeklart ist, fallen wir erst uns und dann Ralf und Inge in die Arme, die uns die Leinen abgenommen haben.


Die Marina in Flores ist klein. Etwa 20 bis 30 Schiffe haben hier Platz und nur die kleineren, wie wir. Die größeren Boote müssen im Vorhafen Anker werfen. Endlich mal ein Vorteil für uns Kleine!

Nach einem Ankommerschluck – Gin Tonic – betreten wir zum ersten Mal nach 22 Tagen wieder festen Boden. Peter muss Kathrin unterhaken, denn sie ist kräftig landkrank, alles schwankt und das liegt nicht am Gin. Aber nach einer Viertelstunde ist auch das vorbei und der Seemannsgang wird weniger. Wir gönnen uns ein warmes Essen im Cafe oberhalb der Marina und fallen später in einen komaähnlichen Tiefschlaf. Nur zum Wachwechsel wird Kathrin wach, freut sich aber diebisch, dass sie weiterschlafen darf.
Auf eine lange ausgiebige warme Dusche hatten wir uns gefreut. Weit gefehlt. Die Besichtigung der sanitären Anlagen lässt diesen Wunsch ganz schnell verschwinden. Dreckig und nur kaltes Wasser. Aber wir haben ja noch jede Menge warmes Wasser auf Florentine, schließlich sind wir am letzten Tag einige Stunden motort. Und so füllen wir warmes Wasser in unsere Camingdusche und säubern uns zur Freude der Fischer gegenüber in Badezeug an Florentines Heck auf der Badeplattform. Also Dusche: ja, warm : ja, lang: nein. Wir sind sehr sparsam mit unseren Ressourcen umgegangen und so haben wir Flores noch mit einem halb vollen Wassertank und einem Drittel vollen Dieseltank erreicht.
Fazit: Der Rückweg über den Atlantik war deutlich angenehmer als der Hinweg, mal abgesehen von den zwei Tiefs und der Flaute. Ob das daran liegt, dass wir drei Jahre mehr Erfahrung haben? Auf jeden Fall kamen wir dem viel gerühmten und allseits beschriebenen Gefühl der Entspannung beim Blick über das tiefe Blau deutlich näher, zwischendrin haben wir uns angesehen und gesagt: Das könnte jetzt auch noch Wochen so weitergehen.
Statistik: 19055 sm seit Heeg, St. Martin – Flores 2895 sm,
Motorstunden 70,9,
Müll: drei 20-Liter-Säcke mit Plastikmüll
Hafengeld Flores 12 €, Duschen Note 5 und kalt!
Und last, but not least wollen wir uns bedanken:
Bei Moritz: Du hast uns wunderbar über den Atlantik gelotst, die täglichen Telefonate mit Dir waren eine Freude und (meistens) auch eine große Beruhigung für uns.
Bei Jakob: Du hast eine prima Karte erstellt und damit ganz vielen Leuten ermöglicht, uns virtuell zu begleiten und zu deren Beruhigung beigetragen
Bei Jens, Sabrina, Hermann, Ingelore und ganz besonders bei Ralf: Unsere täglichen Funkrunden haben uns Sicherheit und Abwechslung gegeben.

8 Antworten zu “Wie der Knick in die Route kam…..

  1. Herzlichen Glückwunsch zur neuerlichen Überquerung des Atlantiks von Uwe &Christine aus Hagen.Haben Ihre Reise mit großem Interesse verfolgt.Hatten Sie Gelegenheit,Infos während des DFB-Pokalendspieles zu bekommen?

  2. welcome „back“ und Danke für die schöne BerichtZeit, das „Miterlebenlassen“. Grüße aus Kiel

  3. Endlich! Ich kann es kaum erwarten Euch kennenzulernen. Hab schon so viel von Euch gehört 🙂 Eure Enkeltochter Mira

  4. Hallo ihr Beiden, ich freu mich, dass ihr heil über’s große Wasser gekommen seid. Welcom back und liebe Grüße annette

  5. Liebe Kathrin, lieber Peter, wir sind sehr erleichtert, dass ihr so gut über den großen Ozean gekommen seid und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen- so von Großeltern zu Großeltern!

  6. War beunruhigt, als ich das AIS-Signal nicht mehr aufspüren konnte. Schön, dass Ihr gut angekommen seid. Gruß Lutz

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